Bis jetzt habe ich dreimal in meinem Leben Soziologie (und ein paar andere, ähnliche Fächer) auf Universitätsniveau studiert. Jeder dieser Kurse wurde wenigstens zehn Jahre nach dem vorhergehenden genommen, und so hatte ich die Gelegenheit zu beobachten, wie sich die Themen über die Jahre veränderten. Und ich habe drei herausragende Lektionen aus meinem Studium der Soziologie erworben. Ich würde sie alle gerne in diesen kleinen Aufsatz hineinpacken.
A. Der fundamentale Irrtum in der Eigenschaft
Eine der tiefgründigsten (und christlichen) Lektionen, die ich von meinen Soziologiestudien gelernt habe, ist etwas, das als "der fundamentale Irrtum in der Eigenschaft" bezeichnet wird. Er bezieht sich auf den verbreiteten Irrtum, einen Fehler oder eine kleine Schwäche in jemandem zu nehmen und ihn als ein grundlegendes Attribut (oder Grundcharakterzug) jenes Individuums aufzufassen.
Zum Beispiel lässt jemand versehentlich etwas fallen, und dann bezeichnen wir ihn als "plump". Jemand mag mehr als du essen, und dann bezeichnest du ihn als ein "Schwein". Jemand stimmt bei einer Entscheidung nicht mit der Mehrheit überein, und dann wird er (oder sie) als "Unruhestifter" bekannt.
Das Problem bei diesem Ansatz ist, daß, sobald jemandem das Etikett gegeben worden ist, es dich (und andere) dazu veranlaßt, jedes Verhalten überzubewerten, das deinen Glauben an dieses Etikett verstärkt. (Mehr darüber im Kapitel "Die sich selbst erfüllende Vorhersage".) Durch das Herausstreichen des Fehlers machst du es zehnmal so schwierig für den Betroffenen, sich zu ändern.
Es mag sein, daß diese Etiketten einige Menschen genauer beschreiben als andere, aber wir sollten in Betracht ziehen (a) ob das Etikett überhaupt einem nützlichen Zweck dient, und (b) ob es denn nicht einen besseren Weg gibt, anderen Menschen bei der Überwindung von etwas zu helfen, was wir ernsthaft als ihre "fundamentalen" Schwächen ansehen.
Es ist schwer vorstellbar, daß es hilfreich sein könnte, jemanden als plump zu bezeichnen. Auf der anderen Hand könnten wir ernstlich glauben, daß ein Appellieren an das Schamgefühl jemanden dazu bringen könnte, weniger zu essen. (Obwohl es wahrscheinlich eine gegensätzliche Wirkung haben würde, d. h. es könnte dem- oder derjenigen das Gefühl geben, alle Bemühungen zu einer Veränderung aufgeben zu wollen, die womöglich bereits gemacht werden.)
Eines der besten Argumente für die Kennzeichnung einer Person ist, daß sie als eine Warnung für andere Menschen dienen kann. Die Bibel fordert beispielsweise, "jene zu kennzeichnen, die Spaltung verursachen," und ihnen aus dem Weg zu gehen. Aber selbst das könnte am Ende schaden, wenn wir nicht sehr sensibel und sehr fair über die Genauigkeit eines Etiketts sind, bevor wir es jemandem aufsetzen. Allgemein gesprochen schaden Etiketten bei weitem mehr als daß sie nützen.
Laß mich im Interesse einer genauen Kennzeichnung vorschlagen, daß, wenn du dich versucht findest, jemandem ein Etikett mit Hinsicht auf einen Fehler, den du in ihm (oder ihr) beobachtet hast, aufzubringen, du dich erst fragst, ob nicht derjenige ein paar positivere Qualitäten hat, welche AUCH fundamentale Attribute darstellen könnten. Ein "stolzer" Mensch kann beispielsweise in anderen Gebieten ziemlich behilflich sein, und auch ein sehr treuer Freund sein, trotz dieser einen Schwäche. Ist es wert, die Freundschaft mit ihm wegen einer Besessenheit, seinen Stolz zu brechen, zu gefährden? Frage dich selber auch eine andere Frage: Ist es wahr, daß er (oder sie) diesen Charakterzug IMMER zur Schau stellt? Gibt es beispielsweise nicht Zeiten, wenn ein "ungeduldiger" Mensch wenigstens etwas Geduld zeigt?
"Immer" und "niemals" sind gefährliche Wörter, wenn sie Menschen beschreiben. Die meisten menschlichen Züge sind nicht absolut. Einige Leute sind egoistischer als andere, und einige Leute sind in der einen Situation egoistischer als in anderen. Daher ist das Etikett fast immer "relativ" zu anderen Faktoren. Ist ein Geizhals (oder ein mürrischer, unhöflicher, oder widerlicher Mensch) jemand, der geiziger (oder mürrischer, unhöflicher, oder widerlicher) ist als du? Falls ja, dann mußt du zugestehen, geizig, mürrisch, unhöflich, und widerlich in den Augen eines jemanden zu sein, der WENIGER geizig, mürrisch, unhöflich, und widerlich als du ist. Wie fühlt es sich nun für dich selber an, einen solchen Titel tragen zu müssen?
Ist es denn nicht besser, zu erkennen, daß wir alle einer langen Liste von Charaktereigenschaften, an denen wir arbeiten wollen, gegenüberstehen; und daß einige von uns die Betonung mehr auf die Verbesserung der einen Eigenschaften legen, während andere es gewählt haben, an anderen Eigenschaften zu arbeiten?
In unserer Situation als eine Gruppe haben wir erfahren, wie es ist, wenn die Leute sagen, daß andere nichts mit uns zu tun haben sollten, weil wir paranoid und gebieterisch seien. Diese Kritik kommt gewöhnlich von Sektensprengern, und diese wissen, daß sie diese Sorte von Kritik an praktisch jeder Gruppe auf der Welt machen können, und die Zielgruppe (in diesem Falle wir) wird sich als Ergebnis vor ihnen in acht nehmen (d. h. in ihren Augen "paranoider" werden), und wir werden unsere Mitglieder dazu ermahnen, dasselbe zu tun (d. h., in ihren Augen "gebieterischer" werden). Daher führt alleine die Aussage, wir wären paranoid und gebieterisch, zu den gewünschten Ergebnissen. Negativen sich selbst erfüllenden Vorhersagen fehlt jede konstruktive Lösung der Probleme, die sie vorhersagen, und gleichzeitig machen sie das "Problem" (falls denn von vornherein wirklich eins da war) eigentlich schlimmer. Aufgrund dessen ist der beste Ratschlag, den wir anbieten können, der, sie so gut wie möglich zu ignorieren.
Wir erwähnten in dem Absatz über den fundamentalen Irrtum in der Eigenschaft, daß die Kennzeichnung eines Menschen wie eine sich selbst erfüllende Vohersage wirken kann. Wenn du sagst, daß jemand plump ist, dann werden andere anfangen, jeden kleinen Stoß oder Ausrutscher zu bemerken, und wahrscheinlich auch ihre Aufmerksamkeit darauf richten. Dies alles macht den Betroffenen befangen und nervös, insbesondere in einer Situation, die nach äußerster Gnade ruft; und als Konsequenz dieser Befangenheit setzen sich die Irrtümer fort, und nehmen sogar zu. Auf diese Weise wird die Vorhersage wahr.
Das selbe kann geschehen, wenn man jemanden als einen Unruhestifter kennzeichnet. Wenn du so jemandem ausweichst (oder Böses in alle seine Bemühungen, freundlich zu sein, hineinliest), dann wird ihn das befremden, und das könnte sehr leicht Probleme zwischen ihm und dir verursachen.
Der schönste Mensch auf der Welt würde wahrscheinlich trotzdem durch negative Kommentare über sein (oder ihr) Aussehen in Mitleidenschaft gezogen werden. Weil Selbstsicherheit eine so wichtige Komponente für gutes Aussehen ist, kann eine solche Kritik die selbe Auswirkung wie eine sich selbst erfüllende Vorhersage haben, da das, was du gekennzeichnet hast, bald Realität wird; die Selbstsicherheit verschwindet, und mit ihr der "Glanz" aus seinem (oder ihrem) guten Aussehen.
Kate Smith, die Sängerin aus den Fünfzigern, hatte eine permanente Schlacht mit ihrem Übergewicht; schließlich verkündigte sie, daß sie in Zukunft ihre Gewichtsprobleme vergessen und sich darauf konzentrieren wollte, "jolly" (fröhlich) zu sein. Die Menschen neigen dazu, das Wort "jolly" mit dicksein zu assoziieren; aber es ist das positivere Attribut, das mit jener Eigenschaft verbunden ist. Dies ist eine gute Veranschaulichung des Tatbestandes, daß selbst negative Eigenschaften ihre positive Seite haben.
Gewöhnlich ist da ein komplementärer Zug in den Menschen erkennbar, die uns auf die eine oder andere Weise auf die Palme bringen. Faule Menschen können beispielsweise auch als lässig und großzügig angesehen werden, und ungeduldige oder arrogante Menschen sind oftmals selber harte Arbeiter. Wenn man ein größeres Bild wie dieses betrachtet, dann wird man sich weniger wahrscheinlich auf die Schwäche eines Menschen konzentrieren, oder sie gar überbewerten. Man könnte vielleicht sogar in der Lage sein, denjenigen zu einer Veränderung zu inspirieren, anstatt ihm ein Gefühl der Ablehnung zu geben.
Wir haben also notiert, daß der fundamentale Irrtum in der Eigenschaft dazu neigt, destruktiv zu wirken, und daß es hilfreicher ist (und ehrlicher), das größere Bild in Betracht zu ziehen (eines, das auch die guten Eigenschaften eines Menschen einbezieht), wenn wir andere kritisieren. Wenn wir das tun, dann können wir wahrscheinlich bejahendere Ermutigung anbieten, und bessere Ergebnisse bekommen.
B. Die sich selbst erfüllende Vorhersage
Die zweite Lektion, die ich aus meinen Studien der Soziologie lernte, war das Prinzip der "sich selbst erfüllenden Vorhersage". Alles, was wir sagen, hat das Potential, andere Menschen zu beeinflussen und Veränderung hervorzurufen. Die sich selbst erfüllende Vorhersage ist jedoch eine bestimmte Art von Aussage, die aus sich heraus genau das Verhalten hervorbringt, das man vorhergesagt hat.
Eine klassische Veranschaulichung dieses Prinzips ist ein Medienbericht über die kurz bevorstehende Schließung einer Bank aufgrund mangelnder Gelder. Wenn die Leute das hören, eilen sie zu der Bank um ihr Geld abzuheben; und das Resultat ist, daß die Bank kollabiert und ihre Türen schließt, da keine Bank genügend Bargeld vorhält, um alle Spareinlagen zu decken. Die Vorhersage hat sich erfüllt, einfach weil die Leute sie geglaubt haben.
Wenn die sich selbst erfüllende Vorhersage auch einen deprimierenden, negativen Effekt auf die Menschen ausüben kann, so kann sie doch auch positive, fast übernatürliche Veränderungen hervorbringen. Nimm einen Schüler, der ein sehr langsamer Leser ist, und sag ihm, daß er ein großartiger Leser ist, und daß du gerne zuhörst, wenn er (oder sie) vorliest. Das Ergebnis wird ein aufgefrischtes Interesse am Lesen sein. Was du gesagt hast könnte technisch als eine Lüge angesehen werden (nachdem es NICHT erfreulich ist, einem schlechten Leser zuzuhören); aber es ist nur eine Zeitfrage, bis es eine Realität werden kann. Es ist insofern "prophetisch", daß du jetzt etwas als einen Tatbestand feststellst, an das du für die Zukunft Glauben hast.
Erinnere dich daran, daß, während Komplimente allen helfen können, sie die spannungsreichste Auswirkung doch auf jene Menschen haben, denen wir am wenigsten geneigt sind, zu komplimentieren. Du kannst dein Leben damit verbringen, Menschen, über die du negative Voraussagen und Beobachtungen gemacht hast, zu sagen: "Ich habe dir das gesagt", oder du kannst die positive Erregung erfahren, zu beobachten, wie Menschen sich aufgrund deiner Komplimente in herrliche, reife, und befähigte Individuen verwandeln. Alles hängt davon ab, wie du die Macht des gesprochenen Wortes gebrauchst. Du kannst es wählen, Leben zu sprechen; oder du kannst es wählen, den Tod zu sprechen.
C. In einer Gruppe und aus Gruppe.
Die dritte Lektion, die ich aus der Soziologie gelernt habe, ist die Beobachtung, daß "In-Group-Tugenden zu Out-Group-Lastern" werden. Um dies zu begreifen, muß man zunächst mal verstehen, was In-Groups und Out-Groups eigentlich sind. In-Groups sind einfach diejenigen Gruppen, von denen du selber ein Bestandteil bist. Out-Groups sind alle "anderen". Oftmals geben dir die Out-Groups das Gefühl, du wärest mit ihnen im Wettbewerb.
Soziologische Experimente haben gezeigt, daß die gleichen Eigenschaften und Verhaltensweisen verschiedene Etiketten anziehen, je nachdem, ob derjenige, der das Etikett ausgibt, meint, daß der Empfänger der selben Gruppe angehört, oder daß er (oder sie) eine "Out-Group" repräsentiert. Beispielsweise könnte man 100 Leuten das Bild eines Menschen zeigen, der ärmlich gekleidet ist (oder schwarze Haut hat, oder nicht besonders gut aussieht, usw.), und man könnte einer anderen Gruppe von 100 Leuten das Bild eines anderen Menschen zeigen, der gut angezogen ist (oder weiße Haut hat, oder sehr gut aussieht), und dann nahezu ein jedes Verhalten mit Worten beschreiben; und die Leute aus der ersten Gruppe werden eher negative Kennzeichnungen dafür geben, während die aus der zweiten Gruppe mehr positive Kennzeichnungen geben werden (abhängig davon, ob sie sich selber als Teil der Zielgruppe ansehen).
Es ist eines der Wunder der Sprache, daß wir sowohl "nette" wie auch "böse" Wörter für nahezu jeden menschlichen Charakterzug haben. Daher können wir sagen, daß die Typen der Out-Group Gehirnwäsche betreiben, während wir erziehen. "Sie" benützen Propaganda, während wir Literatur gebrauchen. Sie sind geizig, während wir sparsam sind. Sie sind stolz, während wir selbstsicher sind. Sie sind autoritär, während wir streng sind. Sie sind schlecht organisiert, während wir entspannt sind. Sie sind nicht-denkende Roboter, während wir treu und gehorsam sind. Sie sind häßlich, während wir rauh sind. Sie sind eitel, während wir schön sind. Diese Liste geht immer so weiter. Du könntest dir noch viele Vergleiche mehr ausdenken.
Auf Grund dieses In-Group/ Out-Group-Problems wird das Etikettieren "fundamentaler Charakterzüge" so gefährlich. Außer du stellst dir vor, daß du der selben Gruppe angehörst wie derjenige, den du beschreibst, wird deine Kennzeichnung wahrscheinlich ungerecht negativ ausfallen. Es ist möglich, sogar Mitglieder aus deiner eigenen Familie (z. B. den Ehegatten) gelegentlich als Teil der Out-Group zu betrachten (siehe dazu auch unseren Aufsatz Doubles oder Singles); und wenn du dies tust, dann wirst du Dinge sagen, die sie noch mehr befremden. Aber gleichzeitig ist es möglich, sich selbst die schlimmsten Feinde als Mitglieder einer größeren Gruppe, der auch du angehörst, vorzustellen (und sei es die menschliche Rasse, wenn nichts anderes!); und wenn du das tust, kannst du ein Begehren entwickeln, das Beste im anderen sehen zu wollen. Wenn du dir es vorstellen kannst, und wenn du es kennzeichnest und öffentlich bekannt machst, dann kannst du größere Einigkeit sowie für den Betroffenen größeren geistigen Fortschritt herbeiführen.
Die Bibel erklärt uns, daß, "obwohl wir dennoch Sünder waren, Christus für uns starb." Mit anderen Worten, selbst als wir die Feinde Gottes waren konnte er etwas in uns sehen, wofür es wert war, zu sterben. Eine solche Liebe sollte uns dazu motivieren, das Beste auch in anderen zu erkennen.